
Im November 1944 wurde ich zusammen mit einer Gruppe politischer Gefangener aus Ungarn von einer SS-Einheit von der Festung Komarom nach Dachau gebracht. Dort übergaben uns die ungarischen Behörden und überließen uns der Gnade ihrer Verbündeten. Anstelle des geregelten Tagesablaufs in den ungarischen Gefängnissen wussten wir nicht, was uns in Zukunft erwartet.
Aber fangen wir von vorne an. Technische Schule in Novi Sad, 2. Oktober 1941, Klassenzimmer der Zweitklässler: Der Hausmeister flüsterte dem Lehrer etwas zu, der daraufhin rief: „Pavle Katić zum Direktor“. Dort erwarteten mich bereits zwei Polizeibeamte der Besatzungsbehörden und brachten mich in das Zentrum zur Untersuchung staatsfeindlicher Aktivitäten. Die üblichen Zwangsmaßnahmen, Schläge bis zur Erschöpfung, in ihrem Bemühen, ein illegales Netzwerk von Mitgliedern der Widerstandsbewegung aufzudecken. Auf diese Weise wurden zwischen 1941 und der Befreiung der Stadt im Jahre 1944 mehrere tausend Patrioten, Aktivisten und Teilnehmer der Volksbefreiungsbewegung in Novi Sad verhaftet. Viele von ihnen verloren in diesen Aktionen ihr Leben, andere wurden zum Tode verurteilt, und die meisten verbüßten Haftstrafen in ungarischen Gefängnissen.

Wegen meiner illegalen Aktivität wurde ich zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Einen Teil dieser Zeit verbrachte ich in einem Militärgefängnis in Budapest, später war ich im größten ungarischen Gefängnis in Vác, wo allein in einem Gebäude etwa tausend politische Gefangene aus der besetzten Region Bačka in der Vojvodina, dem nördlichen Teil Serbiens, untergebracht waren. Die längste Haftzeit verbrachte ich im Gefängnis von Sátoraljaújhely, einer kleinen Stadt im nordöstlichen Teil Ungarns. Die unterbrochene Schulausbildung wurde durch Lesen, Lernen und vor allem durch ideologische und politische Diskussionen ersetzt. Dort ist es am 22. März 1944 zu einer Aufruhr gekommen und es wurde ein Fluchtversuch unternommen, um aus dem Gefängnis zu fliehen und den Befreiungskampf fortzusetzen. Diese Aktion wurde jedoch in Blut erstickt.
Als sich die faschistischen Truppen unter dem Ansturm der sowjetischen Armee zurückzogen, wurden die politischen Gefangenen in den westlichen Teil des Landes gebracht, schließlich in die Festung Komarom, die am Anfang dieser Geschichte erwähnt wurde.
Als wir ins Konzentrationslager Dachau kamen, gewöhnten wir uns schnell an das Regime und die festgelegten Regeln. Der Kapo, in der Regel ein krimineller Häftling, der von der Lagerverwaltung eingesetzt wurde, war die oberste Macht in der Baracke - er brachte die ungehorsamen Lagergefangenen mit einem Stock oder einem Knüppel zur Ordnung. Jeder der vier Räume einer Baracke beherbergte etwa 200 Lagerinsassen auf dreistöckigen hölzernen Etagenbetten. Das bedeutete, dass drei bis vier Personen auf einem Bett („Box“) lagen, auf ein wenig gepresstem Stroh, meistens je zwei mit dem Kopf in entgegengesetzter Richtung.
Eine Besonderheit jedes Lagers war der sogenannte Zählappell, d. h. die Feststellung der Anzahl der Personen in der Baracke. Dabei mussten sich die Gefangenen im Freien (Appelplatz) oder auf engem Raum zwischen zwei Baracken aufstellen. Die Zählung wurde zunächst vom Kapo und anschließend von einem deutschen Offizier der Lagerverwaltung durchgeführt. Diese Prozedur dauerte oft stundenlang, zur Strafe, oder wenn die Häftlingszahl nicht übereinstimmte. Ich erinnere mich noch genau, wie schwer es war, bei unter minus 10 Grad im Freien zu stehen, nur mit einem Stoffhemd oder Mantel bekleidet.
Ein paar Tage nach unserer Ankunft nahm ein Offizier der Lagerverwaltung eine Selektierung vor und die Verteilung der neu angekommenen Häftlinge für die Arbeit. Zu dieser Zeit, Ende 1944, lagen die deutschen Fabriken wegen der häufigen Luftangriffe fast in Trümmern, waren aber dank der neu eingetroffenen Häftlinge noch einigermaßen in Betrieb. Noch am selben Tag wurde eine ausgewählte Arbeitsgruppe in ein Arbeitslager in der Nähe von Augsburg verlegt. In einem improvisierten Schlafsaal, einem ehemaligen Flugzeughangar, versammelte man die Häftlinge, und in einem freien Teil des Raums brachten mehrere deutsche Soldaten drei Gefangene mit auf dem Rücken gefesselten Händen hinein. Der Offizier verlas ein kurzes Urteil: Wegen eines Fluchtversuchs ergeht das Todesurteil durch den Strang... Die Hinrichtung war kurz, die Schlinge um den Hals und das Wegtreten des Stuhls, auf den sie gestiegen sind.
Zu dem unangenehmen Aufwachen und dem Aufbruch zur Arbeit im Morgengrauen kam noch die schockierende Entdeckung hinzu, dass unter dem Strohkissen, wohin ich meine Halbstiefel aus Leder vor dem Einschlafen gelegt hatte, nichts zu finden war, und diese waren das einzige, was ich nach meiner Ankunft im Lager von meinen Sachen behalten hatte. Schelte und Schläge vom Kapo, der mir ein Paar Holzpantoffeln entgegenschleuderte, man drängte uns in eine Reihe, die sich in Richtung eines improvisierten Bahnhofs bewegte. Nach einer kurzen Fahrt erreichten wir eine halb zerstörte, mit Blechplatten bedeckte Werkstatt. Wir wurden ständig von SS-Soldaten mit Hunden begleitet, und in der Werkstatt wurden wir einzeln eingeteilt, um den deutschen Arbeitern als Hilfsarbeitskraft zu dienen. Nach einer kurzen Einweisung wurde uns ein Hammer in die Hand gedrückt, und im Schraubstock war ein Muster, nach welchem ich Aluminiumprofile biegen musste. Ich erfuhr, dass dies ein Teil der Messerschmitt-Flugzeugfabrik war, die immer noch Ersatzteile herstellte. Am Morgen zeigte der Werkmeister mit dem Finger auf den Aschehaufen im nahe gelegenen Ofen. Bratkartoffeln mit Schale - gerade gebacken.
Prison barack Dachau, image: Ministere des Anciens Combattants et Victimes de Guerre 45429
Diese tägliche erschöpfende Routine von 4 Uhr morgens bis 6 Uhr nachmittags führte innerhalb weniger Monate zu einem totalen körperlichen Zusammenbruch und ich wurde aus dem Arbeitsprozess entfernt. Rückkehr in die „Invalidenbaracke“ des Lagers Dachau... Überleben auf dem Bett, in Erwartung der Hinrichtung, weil der Einäscherungsofen außer Betrieb war. Vorbereitungen für die Auflösung des Lagers und den Transport der Lagergefangenen. Tägliches Aufstellen in Reihen auf dem „Appelplatz“, Verteilung von „Trockenrationen“ für drei Tage, Fliegeralarm und Rückkehr in die Barracken. Explosionen waren von weit her zu hören, aber bald auch Gewehrschüsse in der Nähe. Eine Gruppe amerikanischer Aufklärungssoldaten brach in das Lagergelände ein. Es folgte ein Austausch von Schüssen mit den verbliebenen SS-Wächtern, sie legten ihre Waffen nieder und schließlich wurde das Lager am Nachmittag des 29. April 1944 befreit.

Dachau...Freiheit... 29. April 1945
Auch in der „Invalidenbaracke“ standen manche auf, gingen hinaus, es herrschte ein großes Getümmel unter den Lagergefangenen, auf dem Weg zwischen den Baracken zum Appelplatz waren die Befreier - amerikanische Soldaten. Es versammelten sich Tausende von Gefangenen, die Übriggebliebenen, die man nicht abtransportiert hatte. Sie umarmten sich, küssten sich, riefen einander, lachten und freuten sich über die Freiheit. Ich erinnere mich an meine langsamen, wackelnden Schritte in der begeisterten Menschenmenge. Ich sehe, wie die vielen Menschen in Richtung der Küche und der Lagerräume voranschreiten, manche finden Schüsseln mit Essensresten. Sie kratzen mit ihren Händen an der Innenseite der Schüsseln, nehmen die verkrusteten Reste einer Suppe, legen sie in den Mund. Sie rufen: Essen, Essen... und öffnen den nahegelegenen Lagerraum, ich sehe, wie einige von ihnen Dosen öffnen und daraus essen.
Wir, die „schwer Gehenden“ stellen uns am nächsten Tag auf eine Waage vor einem amerikanischen Arzt - 44 kg, Größe 178 cm. Wir wurden in ein provisorisches Krankenhaus gebracht. Einen Monat später mit dem LKW nach Ljubljana und von dort in einem offenen Güterwaggon nach Čortanovci, bis zum zerstörten Tunnel, dann zu Fuß auf die andere Seite und schließlich zurück nach Petrovaradin und mit einer Flussfähre über die Donau nach Novi Sad.
Pavle Katić

Pavle Katić 2017

