Ansprache von OB Hartmann
Gedenkfeier am Krematorium
So. 5. Mai 2024, 10.45 Uhr
"es wird immer Menschen und Systeme geben, die Hass und Intoleranz verbreiten, die die Würde anderer verletzen und die Freiheit bedrohen. Es liegt an uns allen, diesem Hass entschieden entgegenzutreten"
Wir haben uns heute wie jedes Jahr am Krematorium versammelt, um der Opfer des Konzentrationslagers Dachau zu gedenken. Ich möchte zu allererst den anwesenden Überlebenden meinen Dank und meine Hochachtung ausdrücken, die im hohen Alter den beschwerlichen Weg auf sich genommen haben, um zur heutigen Befreiungsfeier nach Dachau zu kommen.
Es ist mir eine tiefe Ehre und zugleich auch eine Verantwortung, heute vor Ihnen zu sprechen, an diesem Ort von unsäglichem Leid. Vor 79 Jahren wurden Sie, wurde das Konzentrationslager Dachau befreit – ein Ort, der zum Symbol der Barbarei des nationalsozialistischen Terrorregimes geworden ist. Heute gedenken wir derjenigen die hier gelitten haben, derjenigen die hier ihr Leben lassen mussten, derjenigen die hier befreit wurden und die Bürde des Erlebten ihr Leben lang mit sich tragen mussten.
Wir haben uns hier vor dem Krematorium versammelt, einem Ort, der stellvertretend für die Grausamkeit steht, die im KZ Dachau herrschte. Es erinnert uns daran, dass menschliche Würde und Freiheit niemals selbstverständlich sind, sondern immer wieder verteidigt werden müssen. Massenhaft wurden die von der SS ermordeten Häftling hier in den vier Verbrennungsöfen verbrannt, ihre Asche zum Teil auf nahegelegenen Feldern verstreut oder vergraben. Ein Begräbnis war ihnen verwehrt. Ihre Familien konnten nicht Abschied von ihnen nehmen.
Der heutige Gedenkort, an dem wir uns hier befinden, wurde bewusst wie ein Friedhof gestaltet. Er ist auch ein Friedhof, so wie die gesamte KZ-Gedenkstätte auch ein Friedhof ist.
Wenn einer Person das Recht auf eine würdevolle Bestattung verweigert wird, ist dies nicht nur eine Verletzung der menschlichen Würde, sondern auch ein Akt der Ungerechtigkeit gegenüber den Lebenden und den Nachfahren der Toten. Es ist eine Bürde, die oft von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ich weiß, verehrte Nachfahrinnen und Nachfahren der zweiten und dritten Generation, die sie im CID engagiert sind, wie wichtig diese KZ-Gedenkstätte für Sie ist als ein Ort der Trauer und des Gedenkens an ihre Vorfahren, denen damals die Würde eines Begräbnisses verwehrt blieb.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
trotz des Schreckens, der sich in Dachau abspielte, gibt es auch Geschichten des Mutes und der Menschlichkeit, die uns Hoffnung geben. Geschichten von Häftlingen, die einander beistanden, von Widerstandskämpfern, die sich gegen das Unrecht erhoben, Geschichten von Solidarität und von Befreiern, die für die Häftlinge das Tor zur Freiheit öffneten. Auch diese Geschichten sind ein Mahnmal, ein Mahnmal dafür, dass selbst in den dunkelsten Zeiten das Licht der Menschlichkeit nicht erlischt. Diese Geschichten müssen wir weiter erzählen, Sie die Überlebenden, Sie die Nachfahren der zweiten oder dritten Generation, aber auch wir alle, die wir für die Lern- und Erinnerungsarbeit engagiert sind.
Wir müssen diese Geschichten erzählen, denn es wird immer Menschen und Systeme geben, die Hass und Intoleranz verbreiten, die die Würde anderer verletzen und die Freiheit bedrohen. Es liegt an uns allen, diesem Hass entschieden entgegenzutreten und für eine Welt einzustehen, in der jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Religion oder Hautfarbe in Frieden und Freiheit leben kann.
Lassen Sie uns daher gemeinsam das Vermächtnis derer ehren, die in Dachau gelitten haben, indem wir uns für eine Welt einsetzen, in der sich die Gräueltaten der Vergangenheit niemals wiederholen. Möge ihr Leid uns lehren, dass wir immer wachsam bleiben müssen gegen jede Form von Unrecht und Unterdrückung. In diesem Sinne lassen Sie uns gemeinsam trauern, aber auch hoffen und streiten für eine Zukunft, in der die Worte "Nie wieder" nicht nur ein Versprechen bleiben, sondern zur Realität werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

